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19.11.2007

Süddeutsche Zeitung

Schüler im Schauspiel: Theatergruppe der Ernst-Göbel-Schule aus Höchst in ihrem Stück »SARA«, frei nach Lessings „Miss Sara Sampson“.
 Foto Günter Frenzel

Großer Auftritt

Beim bundesweiten Schultheater-Treffen gab es mutige Stücke - eine gute Werbung für mehr ästhetische Bildung

"Macht Liebe glücklich?" werden Menschen auf der Straße gefragt; die meisten sagen "Ja", und die Kamera zeigt, wie verlegen manche dabei schauen. Die Jugendlichen, die sich nach diesem kurzen Einspielfilm auf der Bühne anschreien, die einander umgarnen, singen und intrigieren, wissen auch nicht so recht, wie sie mit ihren Gefühlen umgehen sollen. "Das Stück passt genau zu uns, wie wir denken und fühlen", sagt Melanie Spät, 19, Schülerin in der Oberstufen-Theatergruppe der Ernst-Göbel-Schule in Höchst im Odenwald. "Wir haben viel diskutiert, was uns Liebe bedeutet, wie wichtig Heiraten ist und solche Sachen."

Dann haben sie ein Drama gesucht, das dazu passt. Fündig wurden sie bei Lessing. In "Miss Sara Sampson" liebt Marwood Mellefont, Mellefont liebt Sara, der Vater liebt seine Tochter Sara, ein bunter Reigen, so wie man das aus einer Vorabend-Soap im Fernsehen kennt. Nur der Text war nicht so aktuell, Lessing kannte weder Klingeltöne noch Kondome. Deshalb haben die Schüler unter Leitung der Biologielehrerin Eleonora Venado ("ich habe keine Angst, Stücke stark zu verändern, ich habe nicht diese Germanisten-Ehre") den Text erbarmungslos entrümpelt, die Sprache aktualisiert, das Tempo erhöht, Szenen umgestellt, neue Darstellungsformen gesucht. Lessing mag sich im Grabe umdrehen. Das Publikum in Bremen, das zum "Schultheater der Länder" kam, war begeistert.

Darstellendes Spiel, wie es als Fach heißt, ist beliebt wie nie zuvor, zum Schultheatertreffen kamen in der vorigen Woche mehr als 350 Schüler. Gruppen aus allen Bundesländern zeigten ihre Produktionen und tauschten sich über neue Darstellungsformen aus, etwa über das von den Odenwälder Schülern gezeigte chorische Theater, bei dem mehrere Personen für eine Figur sprechen. Die Produktionen belegen, wie aktuell, professionell und lebendig Schultheater heute sein kann. Fachleute sind sich heute einig, dass Schultheater mehr kann, als die Ausdrucksfähigkeit der Jugendlichen zu steigern. Soziale und kulturelle Kompetenzen werden erworben, Lebensgefühle einer Generation transportiert. Die Schüler können aufrütteln, mahnen, erinnern. "Das bringt Präsenz", sagt Patrick Wölfelschneider, 19, Schüler der Ernst-Göbel-Schule, "es fällt mir viel leichter, Referate zu halten und mich im Unterricht zu melden". Seine Mitschülerin Melanie Spät meint, "man wird viel sicherer und selbstbewusster".


Emotionen zeigen

Ihre Schule unterstützt das, es gibt freie Tage fürs Proben, Kooperationen mit Gruppen in Prag und Sankt Petersburg, und demnächst wird Darstellendes Spiel sogar als Abiturfach möglich sein. So viel Unterstützung gibt es nicht überall. Es zeuge von "unglaublicher Ignoranz und erstaunlicher Beharrlichkeit", sagt Joachim Reiss, Vorsitzender des Bundesverbandes Darstellendes Spiel, dass in den meisten Bundesländern so wenig Theaterlehrer ausgebildet würden und Darstellendes Spiel als Unterrichtsfach nicht an allen Schulen möglich sei.

Zwar hat sich das Schultheater in den letzten Jahren in fast allen Bundesländern an den Gymnasien etabliert, vor allem als Wahlpflichtfach neben Kunst und Musik in der Oberstufe. Aber an den Grundschulen und in der Mittelstufe ist immer noch stark vom Wohlwollen des Schulleiters und vom Engagement einzelner Lehrer abhängig, ob Theater gespielt wird oder nicht. Meist geschieht dies nur außerhalb des regulären Unterrichts. "Wir müssen aufpassen, dass Schultheater nicht ein Oberstufenphänomen bleibt", warnt Matthias Mayer von der Körber-Stiftung, die das Schultheatertreffen der Länder mitbegründet hat und finanziell fördert. "Es ist unser besonderes Anliegen, das Schultheater auch an Grund- und Hauptschulen zu stärken", sagt Mayer. Das Theater biete auch lernschwächeren Schülern Möglichkeiten sich auszudrücken. Die Stiftung hat in Hamburg mit ihrem Projekt "Theater und Schule" die Erfahrung gemacht, dass sich über das Darstellende Spiel auch Eltern aus bildungsarmen Schichten für Kultur interessieren und ins Theater locken lassen.

Das Pestalozzi-Gymnasium aus Heidenau in Sachsen zeigt seine Stücke bewusst an Mittelschulen, um so Schüler zu erreichen, die mit Theater sonst nichts anfangen können. Die Theater-AG hat sich dazu an einen besonders schweren Stoff gewagt: In ihrem Stück "Spurensuche - Ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft" haben die Schüler Interviews mit Holocaust-Überlebenden zu Szenen verarbeitet. Da wird ein jüdischer Ladenbesitzer gedemütigt, Juden werden in Waggons gepfercht und ins Konzentrationslager transportiert, Mengeles menschenverachtende Zwillings-Experimente gezeigt. Totenstille im Publikum. Und hinterher viel Beifall. Die Schüler freuen sich, sie haben bis an ihre Grenzen für das Stück gearbeitet, waren in Israel, haben die Gespräche mit Überlebenden geführt und später über Monate hinweg in Szenen umgesetzt, mit wörtlichen Zitaten und nur nach wahren Begebenheiten.

"Die Fakten stehen auch in Geschichtsbüchern", sagt Lorina Hermann, 18. "Wir wollen Emotionen zeigen, menschliche Schicksale." Und sie wollen, dass sich andere Schüler mit dem Thema auseinandersetzen, vor allem in Sachsen. Sie mussten anfangs gegen den Vorwurf kämpfen, das Stück sei zu emotional, zu aufwühlend, erzählt Alex Hanicke. "Ja, richtig, so ist es, das Stück soll schocken, es soll anrühren", sagt der 17-Jährige. Den Schulrektor jedenfalls hat es so überzeugt, dass Darstellendes Spiel mit einer Sondergenehmigung des sächsischen Kultusministeriums von diesem Schuljahr an als Fach anerkannt wird.


Eigenes Unterrichtsfach

Um Stücke wie "Spurensuche" oder "Sara" zu erarbeiten, benötigen Schulen gut ausgebildete Theaterlehrer. Davon aber, klagt Joachim Reiss, gebe es zu wenige. Schultheater sei mehr, als auf einer Bühne zu stehen und auswendig gelernte Texte aufzusagen, es brauche Methodenwissen. Bislang wird das jedoch nur an fünf Hochschulen bundesweit gelehrt. Die meisten Theaterlehrer besuchen Fortbildungen, daran werde aber vielerorts gespart. Der Bedarf und auch das Interesse von Lehrern sei viel größer als das Qualifizierungsangebot, sagt Reiss.

Seit Jahren kämpft der Bundesverband Darstellendes Spiel für ein eigenes Unterrichtsfach, das gleichberechtigt neben Musik und Kunst steht und in allen Schulstufen und Schulformen angeboten wird. "Schultheater ist so etwas wie das Königsfach der ästhetischen Bildung", sagt Joachim Reiss. Doch Darstellendes Spiel lässt sich schwer in Rahmenpläne zwängen, weil damit kein abfragbares und direkt verwertbares Wissen produziert wird. Und in welchem Leistungstest dürfte man schon auf die Frage "Macht Liebe glücklich?" wie am Ende des Theaterstücks antworten: "Meistens."
MARION SCHMIDT


Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.221, Montag, den 25. September 2006 , Seite 16

 

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